Sexuelle Orientierung
Die sexuelle Orientierung bezeichnet im allgemeinen Verständnis sowohl das Gefühl der emotionalen als auch der sexuellen Hingezogenheit bzw. des Verlangens (also die Ausrichtung der Sexualität) auf Menschen eines bestimmten Geschlechts. Die sexuelle Orientierung ist schon früh im Leben aufgrund einer angeborenen bzw. biologisch disponierten Veranlagung festgelegt (wofür neben genetischen Komponenten auch ein Einfluss hormoneller Faktoren im Mutterleib als wahrscheinlich gilt). Allerdings tritt sie im Allgemeinen erst in der Pubertät eindeutig zum Vorschein bzw. erhält erst dann eine wichtige Funktion und Bedeutung für das Individuum. Die sexuelle Orientierung wird darüber hinaus als beständig und wenig oder nicht veränderlich angesehen. Durch diese Merkmale kann sie von sexuellen Präferenzen wie der Vorliebe für bestimmte sexuelle Handlungen oder Objekte (wie z.B. beim Fetischismus) sowie von den Paraphilien abgegrenzt werden, für die auch exogene Auslöser oder zumindest Kofaktoren (wie z.B. Lernprozesse durch Konditionierung) angenommen werden und die prinzipiell veränderlich sind.
Bezieht man den Begriff der sexuellen Orientierung in einem engeren Sinne nur auf die primär sexuelle Komponente (also auf die sexuelle Anziehung im engeren Sinne bzw. auf das Verlangen nach sexueller Interaktion) und grenzt diese somit strikt von der romantischen Orientierung ab, so kann man vier Arten der sexuellen Orientierung unterschieden:
- Heterosexualität – Das andere Geschlecht weckt den Wunsch nach sexueller Interaktion
- Homosexualität – Das eigene Geschlecht weckt den Wunsch nach sexueller Interaktion
- Bisexualität – Beide Geschlechter wecken den Wunsch nach sexueller Interaktion
- Asexualität – Kein Geschlecht weckt den Wunsch nach sexueller Interaktion
Da im Falle der Asexualität keine primär sexuelle Ausrichtung besteht (und eine Ausrichtung auf niemanden genau genommen keine Ausrichtung darstellt) kann Asexualität unter dieser engen Betrachtungsweise alternativ auch als Abwesenheit der sexuellen Orientierung interpretiert werden.
Wird der Begriff der sexuellen Orientierung hingegen auch auf die emotionale Komponente bezogen und/oder werden auch für die Reproduktion relevante soziale Bedürfnisse wie z.B. der Kinderwunsch oder das elterliche Fürsorgeverhalten ("Brutpflege") als Komponenten der sexuellen Orientierung angesehen, so ist auch die Sichtweise auf Asexualität als eine Unterkategorie ("Sub-Orientierung") vorstellbar, da sie nicht in Widerspruch zur Existenz einer emotionalen bzw. romantischen Anziehung bzw. eines Verlangens nach emotionaler Nähe und/oder auf Reproduktion hin ausgerichteten Bedürfnisse mit Bezug zum Geschlecht steht (zumindest falls diese nicht als komplexe sexuelle Interaktionsformen interpretiert werden).
Auch eine Betrachtung von Asexualität als übergeordneter Kategorie ("Super-Orientierung") ist vorstellbar. In diesem Fall würde die Geschlechtsausrichtung lediglich eine genauere Beschreibung der beiden Grundorientierungen (Allo)Sexuell und Asexuell darstellen. Diese Betrachtung ist aber mit dem aktuellen Begriffsverständnis nur schwer vereinbar (ein Sexueller ohne Geschlechtsausrichtung wäre dann ausschließlich autosexuell orientiert und ein Asexueller ohne Geschlechtsausrichtung hätte überhaupt keine Libido) und passt nicht zur Empirie, da beispielsweise eine Veränderung der sexuellen Anteile der Ausrichtung über Veränderungen in der Libido wesentlich häufiger vorkommt als eine Veränderung der Geschlechtsausrichtung von z.B. hetero zu homo oder umgekehrt. Ebenso lässt sich bei Kindern oftmals bereits früh eine gewisse emotionale Orientierung (einschließlich spielerischer Komponenten im Hinblick auf Partnerschaft oder Fürsorgeverhalten) mit Bezug zum Geschlecht feststellen, obwohl dabei noch keine (primär) sexuelle Komponente im Spiel ist.
Es gibt darüber hinaus auch asexuelle Personen, die (im partnerschaftlichen Sinne) keine emotionale bzw. romantische Anziehung bzw. kein emotionales/romantisches Verlangen empfinden. In diesem Fall sind sie sowohl asexuell als auch aromantisch veranlagt.
Von der sexuellen Orientierung zu unterscheiden ist die Sexuelle Identität. Diese bezieht sich auf die Perspektive des Individuum selbst (und/oder die Perspektive anderer auf das Individuum) und ist daher von dessen Selbstzuschreibungen sowie dem subjektiven Gefühl der eigenen Gruppenzugehörigkeit abhängig, wohingegen die sexuelle Orientierung die faktische Ausrichtung des Individuums beschreibt.